Der Hexenturm

Mein Weg 24. Teil

Vorleben

Alte wahre Geschichten

Heilung verhindert

„Glauben Sie an Vorleben?“ Das waren einige Reaktionen auf den Artikel „Traumata“. Ich müsste es wissen, doch ich antworte vorsichtig: „Ich weiß es nicht, denn ich kann es nicht beweisen.“ „Das stimmt so nicht“, meint eine Freundin. Ich erinnere mich an unser erstes Haus. Eigentlich wollte ich gar kein Haus, sondern frei sein und reisen. Ich hatte eine gutgehende Praxis und verlässliche Angestellte, aber einen Mann, dem der Halt fehlte und der immer wieder betonte, er habe keine Heimat, da er ein Flüchtlingskind sei. Seine Eltern waren mit ihm im Bauch seiner Mutter vor dem Mauerbau aus dem Osten in den Westen geflüchtet. Als ich im Gemeindeblatt las, dass unter anderem vier Reihenhäuser an der Stadtmauer gebaut werden sollten, überkam mich ein seltsames Gefühl. Ganz gegen meine Gewohnheiten habe ich nicht lange überlegt und beschlossen, dass ich das Eckhaus an der Stadtmauer möchte. Der Bauherr wollte mir ein Mittelhaus schmackhaft machen, was ich vehement ablehnte; auch das andere Eckhaus kam für mich nicht infrage. Plötzlich brach es aus mir heraus: „Da habe ich schon einmal gewohnt.“ Der Bauherr kannte meine Geschichte: Ich komme aus dem Badischen (Heidelberger Gegend) und war noch nie zuvor in Weil der Stadt. Er schaute mich ungläubig an. Ich erzählte ihm meine Geschichte:

„Vor langer Zeit habe ich mit meinem Mann und meinen beiden Kindern, einem Mädchen und einem Jungen, sowie einem Schwein und drei Hühnern hier gelebt. Ich sehe mich noch auf einem Schemel sitzen und Kartoffeln schälen. Das Haus glich eher einer Hütte. Da war auch noch eine andere Stadtmauer.“ Ich zeigte ihm, wo sie damals verlief. „Außerdem war auf dem Grundstück noch ein Brunnen. Wenn ich auf dem aus blanker Erde bestehenden Hof viele meiner Haushaltsverrichtungen machte, schaute ich immer zum Hexenturm.“ Der war zur Zeit des Hausbaus nicht mehr da. Obwohl der Bauherr sehr seltsam und eigentümlich auf meine Schilderungen reagierte und sein schräges, mitleidiges Lächeln nur mit Mühe zu verbergen versuchte, verkaufte er uns das Haus. Ich wusste ja schon seit meiner Kindheit, dass ich spinnen würde, wenn ich ehrlich meine Geschichten erzählte. So machte mir sein Hohn nicht so viel aus.

Als es schließlich zum Aushub kam, entdeckte man eine Stadtmauer, die wohl bisher in keinem Geschichtsbuch vermerkt und auch sonst noch nie gefunden worden war. Auch einen Brunnen fand man, der allerdings schon verschüttet worden sein musste. Es wurde Stillschweigen bewahrt, abgesehen von der Berichterstattung im Wochenblatt, in der von einem sensationellen Fund berichtet wurde. Sogar Fragmente der Mauer wurden in das Stadtbild integriert. Jahre später kam eine Patientin, die im Heimatverein tätig war, zu mir. Sie berichtete, dass sie oft an mich denken musste, denn ich sei es gewesen, die vom Hexenturm erzählt hatte. Sie habe sich damals zwar über mich amüsiert, aber dennoch recherchiert. Ich solle mal schauen: Sie hätten in alten Unterlagen den Eintrag „Hexensturm” an besagter Stelle gefunden. Inzwischen kann man den angedeuteten, rundlich angelegten Hexenturm an der Stadtmauer als Tourist bewundern.

Woher habe ich all dieses Wissen, wenn ich noch nie in diesem Ort war? Wie kann ich Dinge beschreiben, die selbst den Einheimischen nicht bekannt waren? Ich kann die Szenen genau schildern. Ich sehe meine Kleidung vor mir: das dunkle, lange Kleid mit der großen Schürze. Ich sehe meinen hagereren Mann, der nicht gerne gearbeitet hat und sich auf den Stil einer Mistgabel gestützt hat. Ich sehe das Mädchen und den Jungen, die auf der blanken Erde herumspringen und Fangen spielen. Das Hausschwein, das grunzend nach den Abfällen meiner Kartoffelschalen haschte. Ich höre sogar das Schreien und Zetern, wenn wieder eine Frau in den Hexenturm eingesperrt wurde. Doch ich erkannte auch den roten Faden zu meinem Leben heute. Ich war damals gerade mit meiner Tochter schwanger und wusste, dass ich noch einen Sohn bekommen würde, ungeachtet der prekären familiären Situation. Alles musste so sein. Es hat sich vieles wiederholt. Es scheint mir, als hätte ich einige Ungereimtheiten von damals heute geklärt. Jedenfalls war ich zehn Jahre später geschieden und bin mit den Kindern ausgezogen.

Ich habe gerne Romane aus dem Mittelalter oder dem 18. Jahrhundert gelesen. Während ich den krankengymnastischen Befund mit meinen Patienten durchführte, huschten immer wieder Bilder vorbei, die mir Verletzungen aus einem früheren Leben zeigten. Ich wollte die Patienten nicht vergraulen und unterdrückte diese Bilder. Erleichtert war ich, als ich für mich die Psycho-Kinesiologie entdeckte. In einem Video behandelte Dr. Klinghardt einen Jungen mit rotem Hautausschlag. Es hieß, dass er in einem früheren Leben als Hexe verbrannt wurde und die Brandmale nun immer noch mit sich tragen würde. Dieses Trauma wurde kinesiologisch erlöst. Eine junge Frau hatte von mir gehört und wollte sich ihr apfelsinengroßes Myom kinesiologisch von mir anschauen lassen. Ihre Gynäkologin hatte ihr bereits einen Operationstermin in drei Monaten gegeben. Meine kinesiologischen Tests ergaben eine Geschichte aus dem Mittelalter. Damals war sie ein Mann, der einen Verrat begangen hatte, dabei ertappt und bestraft wurde. Man hatte ihn an Armen und Beinen festgebunden und ihm den gesamten Bauch am lebendigen Leib aufgeschlitzt. Die Gedärme hingen heraus. Mir wurde übel, und die Patientin murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Ich schämte mich damals für diese Geschichte, aber der Muskeltest ließ keine andere Möglichkeit zu, sonst hätte ich lügen müssen. Wir lösten das Trauma mit verschiedenen Techniken auf. Monate später bekam ich einen Brief von ihr. Vor der OP hatte ihre Ärztin sie noch einmal untersucht und kein Myom mehr gefunden. Bis heute nicht mehr. Das ist bestimmt fünfundzwanzig Jahre her. Später habe ich solche Geschichten regelrecht abgewürgt, denn die Patienten lehnten sie vehement ab. Heute weiß ich, dass so einige Heilungen verhindert wurden.

Erneut stoße ich durch die Aurachirurgie wieder auf solche karmischen Geschichten. Es scheint zu mir, meinem Leben und Arbeiten zu gehören.