Selbstliebe
Mein Weg 25. Teil
Ist Liebe nur ein Wort
Gemögtwerden
Der Spiegel zeigt es
„Sie müssen lernen, sich selbst zu lieben“, gibt mir eine Klientin liebevoll den Ratschlag. „Es fängt schon wieder an“, denke ich und erinnere mich an eine längst vergangene Zeit. Ein selbsternannter Guru und Nebensitzer bei einer Fortbildung klärte mich damals auf: „Du musst dich selbst lieben, weißt du, das musst du unbedingt.“ Da er immer wieder anfing und meines Erachtens nachsprach, was zu der Zeit in war, fragte ich ihn, wie ich das mit der Selbstliebe machen solle. „Wie komme ich in diesen Zustand?“ Mein Guru zischelte durch seine Zähne, die er beim Sprechen wohl nicht auseinanderbekam. Klugscheißerisch nickte er mit dem Kopf in alle Richtungen, während er mich belehrte. „Das musst du selbst herausfinden. Das ist ganz wichtig.“ Ich musste aufpassen, nicht zur Täterin zu werden und ihn genau da zu würgen, wo seine gequetschten Worte herauskamen. Er hatte null Ahnung von dem, was er sagte, und meinte, mir sagen zu können, was ich tun soll – mit leeren Worten. Fazit: Das Thema berührt mich heute tatsächlich emotional fast genauso wie vor mehr als dreißig Jahren.
Es wird Zeit, mich näher damit zu befassen. Inzwischen habe ich viele Berichte zum Thema „Liebe dich selbst“ gelesen. Ich habe verstanden, dass all diese Menschen Selbstliebe im Verstand suchen. Dort findet zwar eine Idee statt, aber ganz bestimmt nicht das, was wir suchen. Ich habe das Wort „gemögtwerdenwollen“ erfunden, weil es eine Kindersprache ist. Natürlich habe ich Versuche mit Patientinnen und Patienten in der Praxis gemacht. Eine eingesteifte Hüfte wurde wieder locker, ein Knie ließ sich leichter bewegen und vor allem sah ich sofort, wie die Augen meiner Patientinnen und Patienten anfingen zu leuchten und ihnen ein Lächeln auf den Lippen lag, wenn ich „gemögtwerden“ aussprach. Unser Körper fühlt wie ein kleines Kind, egal wie alt er ist. Er hat ein größeres Gedächtnis als unser Gehirn. Wenn sich der Körper wieder erinnert, ist es sehr schmerzhaft.
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Dieser Spruch aus der Bibel wird Matthäus und Moses zugeschrieben. Wir tun vieles für andere, wollen sie nicht verletzen, sagen oft ja, meinen aber nein. Wir verbiegen uns selbst, um die Liebe anderer Menschen zu gewinnen. Dabei werden wir ausgenutzt und schlimmstenfalls hinter unserem Rücken mitleidig belächelt. Was passiert, wenn wir meinen, ganz viel für andere zu tun, ist das Nächstenliebe? Wir tun es in erster Linie für uns selbst. Wir wollen geliebt werden, wir wollen von anderen das bekommen, was wir aus unserer Sicht von unseren Eltern nicht bekommen haben. Es geht gar nicht um den Nächsten, denn wir verlangen von ihm etwas, anstatt ihm etwas zu geben. „Ich gebe dir, und jetzt musst du mir aber doppelt so viel zurückgeben.“ „Nein“, wird mir mit beleidigtem Ton geantwortet. Da klaffen Verstand, Unterbewusstsein und Körpergefühl weit auseinander. Wenn wir uns danach richten, andere zu befriedigen, um geliebt und angenommen zu werden, machen wir uns abhängig und manipulierbar.
Wenn wir einem kleinen Kind sagen: „Liebe dich selbst“, kann es diese Worte nicht verstehen. Einerseits ist es ein Befehl, was ein Kleinkind nicht gerne hört, andererseits sind es leere Worte, die mit dem kleinen Körper gar nicht verstanden werden, da die Abstraktionsfähigkeit des Verstandes bei kleinen Kindern noch nicht ausgeprägt ist. Sie sehen lediglich in die Augen der Erwachsenen. Sind sie freundlich, neutral oder zornig? Das ist der Spiegel, an dem sie sich orientieren und an dem sie lernen, sich selbst einzuschätzen.
Wenn wir ein Baby oder Kleinkind mit Freude aus dem reinen Herzen anschauen und ihm liebevoll in die Augen sehen, dann wird sich das Kind „gemögtwerden“ fühlen. Wenn ich früher morgens in den Spiegel sah, dachte ich: „Oh, Herr, lass Abend werden.“ Nach einer Fortbildung, in der wir gelernt haben, uns morgens fünf Minuten vor dem Spiegel anzusehen und uns anzulächeln, habe ich erst einmal nur mein Gesicht ganz bewusst betrachtet. Ich sah Unreinheiten, Altersflecken, mal war ich zu blass, dann wieder zu rot auf den Wangen. „Du siehst dich im Spiegel sowieso nicht so, wie du wirklich bist“, ging es mir schnell durch den Kopf. Dann erinnerte ich mich daran, mich beim Vornamen zu nennen, und sah mir endlich tief in die Augen. Sie waren matt und leer. Ich erschrak. Was war mit mir passiert? Ich dachte, es ginge mir gut. Ich probierte gleich aus, ob ich nur bei mir so reagiere oder ob ich allgemein emotional nicht in meinem Körper zu Hause war. Ich dachte an das Rotkehlchen, das sich vor Kurzem im Garten recht dicht an mich heranwagte, sodass mir das Herz aufging, als ich es so nah beobachten konnte. Mit seinen dünnen Beinchen, dem kugeligen Körper und dem ständigen Wippen schaute es mir interessiert bei der Gartenarbeit zu. Sofort veränderte sich meine angespannte Körperhaltung und wurde weicher. Meine Augen strahlten liebevoll. Der nächste Schritt war: Wie kann ich diese liebevolle und freudige Energie auf mich beziehen? Mit etwas energetischem Geschick versuchte ich, das Rotkehlchengefühl zu halten und auf mich zu übertragen. Plötzlich schien eine Energie in mir „Nein“ zu schreien. „Nein, du doch nicht.“ Das musste ich erst einmal verkraften. Immerhin hatte ich eine Seite von mir aufgedeckt, die mir bisher nicht bewusst gewesen war.
Teil zwei folgt.

Ich möchte den Menschen dort abholen, wo er steht, ihn ein Stück begleiten, damit er selbstständig weitergehen kann.