Spiegelneuronen
Mein Weg 26. Teil
Selbstliebe
Spieglein, Spieglein
Mütter prägen
Warum kann ich mich nicht selbst lieben? Wie funktioniert das? Wie fühlt sich „eigenmögen“an? Schnell wird es mit Egoismus, Eitelkeit oder Narzissmus in Verbindung gebracht. Dies sind allerdings Überreaktionen, die eher die kranke Seite von uns hervorheben, wenn wir uns eine Waage vorstellen. Ich bekomme Antworten wie: „Wenn man sich selbst liebt, dann nimmt man sich mit allen Schwächen und Stärken an.” Es werden Worte wie Achtsamkeit, Wertschätzung und Selbstakzeptanz in den Raum geworfen. Unser Körper, der wie ein kleines Kind fühlt, kann diese nicht verstehen. Wir sollen uns abstrakte Sätze vorsagen und Affirmationen ständig wiederholen, das würde helfen. Worte wie „Wertschätzung” verstehen die meisten Menschen im kognitiven Kortex. Es sind Werkzeuge wie Konzentration, Gedächtnis und Planung, mit denen unser Denkapparat arbeitet, die aber nicht empfunden werden können.
Wie oft stand ich in der Vergangenheit morgens unter der Dusche, sagte meine Affirmationen auf, klopfte den Dünndarm-3-Akupunkturpunkt und hoffte, dass das Wasser alle meine unangenehmen Glaubenssätze abspülen würde! Aber nichts, absolut gar nichts, ging mit mir oder meinem Körper in Resonanz, wenn ich sagte: „Ich bin liebenswert, es geht mir gut, ich bin es wert, geliebt zu werden.“ Es tat sich nichts. Ich hatte damals noch nicht über die Ichs recherchiert und herausgefunden, dass der Vorname so viel eindringlicher wirkt.
An dieser Stelle kommen nun die Spiegelneuronen ins Spiel. Das sind Nervenzellen im Gehirn, die vor allem bei Beobachtungen und Ausführungen aktiv sind. Durch die Spiegelneuronen wird Beobachtetes so verinnerlicht, dass wir die beobachteten Handlungen anderer als unsere eigenen empfinden. So scheint es beispielsweise auch zu sein, wenn jemand gähnt und das Gegenüber ebenso anfängt zu gähnen. Bei Kleinkindern kann man beobachten, dass sie genau hinsehen, hineinfühlen und dann nachahmen. In späteren Behandlungen durfte ich feststellen, dass diese erworbenen Nachahmungen immer noch im Erwachsenenalter vorhanden sind, im Unterbewusstsein schlummern und bei jeder Gelegenheit wieder aktiviert werden.
Ich habe meine Mutter in den letzten beiden Jahren ihres Lebens viel gefragt und dabei eine Menge erfahren. Als ich sie fragte, was wir denn für ein Verhältnis miteinander hatten, verzog sie ekelverzerrt das Gesicht und sagte: „Ulli, ich habe dich soooo gehasst. So sehr gehasst, seit ich wusste, dass ich mit dir schwanger war.“ Das hätte mich schockieren müssen, hätte ich nicht bereits bei Familienaufstellungen das Gleiche herausgefunden, es aber nicht glauben wollen. Zum ersten Mal durfte ich erfahren, dass die Wahrheit, die immer verschwommen im Raum stand, nicht wehtut, sondern klärt. Danach habe ich angefangen, meine Mutter auf sanfte Weise zu mögen.
Zudem hatte sich meine Mutter geschämt, mit vierunddreißig Jahren noch einmal schwanger zu werden. Für damalige Zeiten war das wohl nicht üblich. Scham war ein großes Thema zwischen meiner Mutter und mir. Wie oft hörte ich: „Schämst du dich nicht?!“ Dabei fand ich nicht, dass ich etwas außerordentlich Schamhaftes getan hatte. Als ich mein erstes Buch fertig vom Verlag in den Händen hielt, zeigte ich es meiner Mutter. Ich hatte keine Hoffnung auf Lob. Aber sie konnte die Situation noch toppen: „Ach Gott, so dick. Da muss man sich mit dir ja schämen. Das kann ich unseren Nachbarn nicht erzählen.“
Sie erzählte mir auch, dass sie mir nie Erfolg wünschte, denn dann wäre ich bestimmt weit weggezogen. Aber sie wollte mich für sich. Ich sollte mich um sie kümmern. Mit ihrem Satz „Tu mir das nicht an!“ hat sie verhindert, dass ich der Einladung meiner Tante aus Amerika im Alter von fünfzehn Jahren nachgekommen bin. Als Physiotherapeutin hatte ich die Chance, für ein halbes Jahr nach Australien zu kommen. Eine Familie suchte eine Physiotherapeutin, die während der Reise den Mann, der einen Schlaganfall erlitten hatte, krankengymnastisch betreuen sollte – freie Kost und Logis inklusive. Natürlich tat ich das meiner Mutter nicht an.
Wie muss es sich anfühlen, wenn ein Baby in den Augen der Mutter nur Hass, toxische Scham und Ablehnung erkennen kann? Die Spiegelneuronen ahmen diese Gefühle und Taten der Mutter nach und empfinden sie fälschlicherweise als Nestwärme. Also ganz normal. Wie kann sich ein solches Kind selbst mögen? Das schreit nach Therapie. Gut, dass ich mich selbst behandeln kann. Dabei sind zwei Freundinnen am Telefon, die mich auf weitere Ideen bringen oder Fragen stellen, die ich mir selbst nicht stellen würde. Denn wenn man im Knoten sitzt, sieht man oft nicht die Lösung. Was hat die linke Hirnhälfte gespeichert? Wie geht es meinen Organen dabei?

Ich möchte den Menschen dort abholen, wo er steht, ihn ein Stück begleiten, damit er selbstständig weitergehen kann.