Emotionen
Mein Weg 8. Teil
Nicht mehr die Alte
Viele Freundinnen
Dankbarkeit
„Frau Fischer, was Sie bisher geschrieben haben, ist interessant, aber mir fehlen die Gefühle. Es ist noch nicht die alte Frau Fischer, deren Bücher ich gelesen habe und in denen ich so viel Persönliches gefunden habe.“ In ähnlicher Form erreichte mich eine Nachricht von einem Klienten.
Ich könnte viele Gefühle beschreiben, die in den letzten Monaten in mir entstanden oder wieder hochgekommen sind. Zunächst möchte ich mich bei all den Krankenschwestern und Pflegern bedanken, die aus aller Herren Länder kommen und trotz Druck und Hektik liebevoll, freundlich und mit geschickten Handgriffen ihre Arbeit machen. Sie gaben mir das Gefühl, ihnen nicht zur Last zu fallen. Ich spürte bei ihnen einen gewissen Abstand, sodass sie nicht mit jedem Patienten und jeder Patientin mitleiden. Wer als Patientin oder Patient zu viel erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein, dass längere persönliche Gespräche fehlen. Ich hatte nichts erwartet und wurde angenehm überrascht.
Mein Handy war im Krankenhaus mein ständiger Begleiter, es lag auf dem Nachttisch und klingelte fast ununterbrochen. Früher kam es vor, dass mich mein Sohn über das Festnetz anrief und sagte: „Gott sei Dank, dir ist nichts passiert.“ „Wieso?“ – „Deine Tochter und ich haben dir einige Nachrichten auf dem Handy hinterlassen, aber du hast nicht geantwortet.“ Ach ja, wo hatte ich mein Handy wieder hingelegt? Wann hatte ich es das letzte Mal benutzt? Keine Ahnung. „Ich rufe dich mal an, dann hörst du das Klingeln.“ Ich hörte es nicht, denn der Akku war vielleicht schon seit Tagen leer.
Nun war es mir wichtig, das Ladegerät ständig bei mir zu haben, da der Akku schnell wieder leer war – so viel telefonierte und schrieb ich. Viele meiner früheren Klientinnen und Klienten baten meine Kinder um meine Nummer, und viele Freundinnen riefen an und fragten, ob sie mich besuchen dürften.
Meine Freundin aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis setzte sich sofort ins Auto und fuhr eineinhalb Stunden zu mir. Ich war sehr gerührt, aber auch ein bisschen beschämt. Wir hatten uns in den letzten zwei Jahren erst wieder besucht. Zuvor hatten wir uns sechzehn Jahre nicht gesehen und uns nur dreimal im Jahr stundenlang telefonisch ausgetauscht. Es lag an mir, die keine Zeit hatte, weil ich am Wochenende im Büro arbeitete, den Garten versorgen musste oder an Fortbildungen teilnahm. Als ich im Krankenhaus lag, hatte ich auf einmal Zeit, Besuch zu empfangen, und meine Freundin kam sofort. So ging es weiter: Meine beiden anderen Freundinnen kam vom Bodensee und aus dem Neckar-Odenwaldkreis, einige aus der näheren Umgebung. Meine Schwester, die lange Strecken nicht mehr alleine fahren soll, bat sofort meinen Neffen, sie zu mir zu fahren. In mir tobten viele gegensätzliche Gefühle: unbändige Freude, die sofort von Schuld und Scham niedergedrückt wurde, sowie Rührung und Dankbarkeit. Ich habe sehr viele Briefe und Karten von Klientinnen und Klienten mit liebevollen Grüßen und guten Gedanken erhalten.Damit hatte ich nie gerechnet. So viele gute Wünsche, die von Herzen kamen. Später halfen mir meine Freundinnen bis zur Erschöpfung beim Ausräumen zu Hause, brachten unendlich viel Müll weg, kochten vor und backten. Das bin ich nicht gewohnt. Ich war immer die, die alles selbst machte. Ich kann nur schwer um Hilfe bitten und noch schwerer sie annehmen. „Du bist mir wichtig.“ „Du hast mir früher auch geholfen, als es mir nicht gut ging. Hast du das vergessen?“ Wie oft lag ich nachts wach und habe geweint, weil meine Gefühle Achterbahn gefahren sind! Solche Sätze zu hören, war die reinste Folter für mich. Wie schon erwähnt, schaltete ich tagsüber meinen klaren Menschenverstand ein. Ich kam gar nicht darum herum, denn es gab eine Menge Papiere, Anträge und Bestätigungen, die ich ausfüllen musste. Hinzu kamen die endlosen Gespräche mit Ämtern und der Krankenkasse, bei der ich teilweise zwanzig Minuten in der Warteschleife gehalten wurde. Hinzu kamen Steuerberater, Praxisschließung, Steuer und Abmeldungen von Versicherungen. Dabei erwähne ich „meinen Versicherungsmann“, der mit großer Genauigkeit an alles denkt und entsprechende Maßnahmen veranlasst.
Was ich bei aller Verdrängung der belastenden Gefühle nicht bedachte, waren die Gefühle meiner Kinder. Sie mussten erst einmal mit meiner Diagnose zurechtkommen. Wie wird es weitergehen? Stirbt Mama gleich? Nichts ist geregelt. Muss sie ins Pflegeheim? Kann sie noch zu Hause gepflegt werden? Wir wollen sie nicht verlieren. Ich weiß nicht, was wirklich in meiner Tochter und meinem Sohn vorging. Eine Freundin aus dem Schwarzwald meinte: „Lass ihnen Zeit. Überrumple sie nicht mit deinen Plänen: Du ziehst in die Praxisräume, deine Tochter und ihre Familie ziehen in das obere Haus und dein Sohn wird ausbezahlt. Das ist für jeden von euch eine riesige Umstellung. Du hast den ersten Schock überwunden. Du hast den Krebs und kannst selbst damit umgehen. Aber Angehörige können nur zusehen und sind hilflos.“ Sie hatte so recht, aber ich wusste, dass ich schnell handeln musste. Egal, an welche Institution oder welches Amt ich mich wenden würde, alle deren Mühlen mahlen bekanntlich langsam. Außerdem haben sie nicht auf mich gewartet.
Ein nächstes Problem war, eine Hausärztin oder einen Hausarzt zu finden. Ich hatte meinen Hausarzt bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr gesehen und inzwischen ist er auch in den Ruhestand gegangen. Ich telefonierte mindestens sechs der ansässigen Arztpraxen ab, in die ich nur ungern gegangen wäre, weil ich den Ablauf dort kannte. Überall bekam ich eine Absage. „Wir nehmen niemanden mehr an.“ Irgendwie war ich erleichtert, denn wenn ich jemandem vertrauen kann, dann nur jemandem, der liebevoll ist. Dann erinnerte ich mich daran, dass eine Ärztin ein Jahr zuvor eine neue Praxis aufgemacht hatte. Ich hatte bisher weder Gutes noch Schlechtes über sie gehört. Eine Freundin suchte die Adresse heraus, ich rief an und fühlte mich beim ersten Gespräch wie zu Hause. Ich dankte dem Universum, dass es mir diesen Weg gewiesen hatte.
Es gibt allerdings auch Menschen, die mir aus dem Weg gehen, „weil ich Krebs habe und das nicht zu haben habe, weil Therapeuten nicht krank sein dürfen.“ So lautet ein Spruch einer früheren Patientin. Den Krebs habe ich bestimmt schon zehn Jahre. Da kann ich froh sein, dass es bisher noch keiner bemerkt hat. Sonst wären mir meine Patientinnen und Patienten weggelaufen, die sich bei mir und meiner Behandlung bisher wohlfühlten. Bis zu meiner Diagnose und meinem (Wirbel-)Einbruch bekam ich nur Komplimente, wie gut und jung ich aussehe, wie fit ich bin und wie viel Vitalität ich ausstrahle. So fühlte ich mich auch!

Ich möchte den Menschen dort abholen, wo er steht, ihn ein Stück begleiten, damit er selbstständig weitergehen kann.